oder: die Geschichte hinter dem "ersten Satz im Buch"
Kennst du das Problem? Du stehst in einer Buchhandlung und kannst dich einfach nicht entscheiden, welches dein Nächstes sein wird? Nun, damit bist du kein Einzelfall. Es gibt viele Möglichkeiten dies zu entscheiden. Heute möchte ich dir von der Methode erzählen, die zwei bücherverrückte Frauen sich ausgedacht haben.
Die Geschichte beginnt vor vielen Jahren. Damals war ich Schülerin an einer weiterführenden Schule in der nächsten Kleinstadt und nichts machte mich so glücklich, wie einmal im Monat mit meiner besten Freundin die örtliche Buchhandlung zu stürmen.
Es war ein paradiesischer Ort für uns. So viele Abenteuer, Wissen und Schönheit warteten dort auf uns, um entdeckt zu werden. In schlichter oder exaltierter Aufmachung strahlten uns die Bücher entgegen und verlockten uns dazu einen Blick zwischen die Buchdeckel zu werfen.
Doch diese Ausflüge dienten nicht alleine dem Vergnügen, wir hatten eine Mission. Wir wollten die Welt der großen Künstler ihres Fachs erobern und sahen Bücher nicht als bloße Unterhaltung an. Selbstverständlich konnte man ein Buch auch mal zum Vergnügen lesen, aber dafür gab es die Bücherei. Dort standen jede Menge Bücher zur Auswahl und wir bedienten uns rege daran, da es ein Genug für uns einfach nicht gab.
Was uns in die Buchhandlung trieb waren die wahren Meister, da wir nur für sie bereit waren einen Teil unserer knappen Barschaft zu opfern. Und diese Knappheit zwang uns dazu einen Plan zu entwerfen, wie wir streng nach dem Minimalprinzip, ein festgelegtes Ziel mit minimalem Einsatz erreichen konnten.
Dieser Plan beinhaltete Folgendes:
ein Buch pro Monat - da mehr das Budget nicht hergab
eine ausgeklügelte Liste an Auswahlkriterien - damit eine Entscheidung möglich war
Darüber hinaus achteten wir gegenseitig aufeinander, damit wir nicht in unserer Wohlfühlzone verharrten und offen für Neues blieben.
Sie hatte damals eine große Schwäche für Friedrich Dürrenmatt, die dazu führte, dass sie vor ihrem 20sten Geburtstag nicht nur alle seine Werke gelesen hatte, sondern sie auch alle besaß.
Mir selbst hatten es die französischen Existenzialisten angetan und es war schwer, mich vom Kauf eines Buches von Jean-Paul Sartre oder Albert Camus abzuhalten.
Aber wir beide wussten es gab dort draußen noch viel mehr zu entdecken, also unterstützen wir uns beide tatkräftig bei unserem monatlichen Entscheidungsprozess.
Nun zurück zu den Auswahlkriterien.
Als aufmerksame Schülerinnen unseres Unterrichts in Betriebswirtschaftslehre (zumindest in den wesentlichen Dingen) wussten wir, dass harte Fakten herangezogen werden musste, um zu einer wohlüberlegten Entscheidung zu gelangen.
Die erste Frage, die wir uns also stellten war: Wie viel Buch bekomme ich für mein Geld?
Eine überaus wichtige Frage, da viele der Bücher auf die wir aus waren nicht unbedingt mit einer beeindruckenden Seitenzahl aufwarten konnten. Dies musste jedoch in Kauf genommen werden, uns ging es schließlich um Klasse und nicht um Masse.
Und meist schwankten wir zwischen mehreren Büchern und der klare Favorit war selbstverständlich das Buch, das am meisten bot.
Nun wäre die Welt jedoch viel zu einfach, wenn es damit getan wäre oder?
Falls unser geheimer Favorit drohte diesen Entscheidungskampf zu verlieren mussten andere Kriterien ins Feld geführt werden. Dies führte zu lebhaften Diskussionen über die Wichtigkeit des Autors oder diesem speziellen Werk und vertrau mir lieber Leser, wir schonten einander in keinster Weise - halbseidene Argumente der Anderen wurden gnadenlos offengelegt und vom Tisch gefegt.
Wenn ich daran zurückdenke muss ich unwillkürlich schmunzeln. Weshalb? Wohl weil wir beide heute unser Geld mit wohlgesetzten Argumenten und Strategien verdienen. ;-)
Doch zurück zum Bücherkrimi. Wenn gar nichts mehr zog, dann half nur das letzte und alles entscheidende Kriterium, das sogar die Frage nach dem Budget zunichte machen konnte: der erste Satz.
Die Literatur hat uns wundervolle erste Sätze geschenkt. Sätze, die uns mittenrein werfen können in eine Geschichte oder spürbar den Atem stocken lassen und ja, einige davon sind sogar weltberühmt geworden und das meiner Meinung nach vollkommen zurecht.
Egal wie es ausging. Wir verließen auf jeden Fall nie diese Buchhandlung ohne das Gefühl eine Eroberung getätigt zu haben und dass unsere Wahl nicht leichtfertig getroffen worden war.
Und so verrückt es klingt. Auch heute noch stehen wir beide oft in einer Buchhandlung und lesen ganz bewusst den ersten Satz eines Buches und schauen, ob er uns verzaubern kann.
Dieser Zauber ist so bedeutungsvoll, dass es mir nie einfallen würde über ein Buch zu schreiben und dem Leser diesen Zauber zu verweigern.
Und vielleicht ertappst du dich ja das nächste Mal auch in einer Buchhandlung dabei, dass du den ersten Satz liest und das Buch mit dem Gefühl mitnimmst, eine Eroberung getätigt zu haben.
Auf jeden Fall wünsche ich viel Spaß beim Lesen.
Deine Sofie
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S. (Sonntag, 07 März 2021 14:52)
Die Wolke, die ich rede, ist meine Wolke,
aus der dichte ich mich heraus.
Friedrich Dürrenmatt