Seit ich vor vier Jahren zehn 60-Liter-Säcke aus meinem Schlafzimmer trug - vollgepackt mit Kleidung, Schuhen, Handtaschen und all den Accessoires, die es so wundervoll machen eine Frau zu sein - widme ich mich einer ganz entscheidenden Frage:
Brauch ich das oder kann es weg?
Begonnen hatte all dies wie gesagt in meinem Schlafzimmer.
Was der Auslöser für diese radikale Entrümpelung war? Nun das nagende Gefühl zu ersticken. Die Feststellung, dass mein Besitz mich erdrückte, lähmte und geradezu träge machte.
Eine wichtige Feststellung, die direkt von der drängenden Frage begleitet wurde: Wo fange ich an?
Ich entschied mich für mein Schlafzimmer, das Ergebnis waren die bereits erwähnten Säcke.
Was ich bisher nicht erwähnt habe? Die Verzweiflung beispielsweise, die mich vor dem Altkleidercontainer packte, als ich meine liebevoll zusammengetragenen Beutestücke, gerade aus dem Bereich Handtaschen, aufgeben sollte. Ich stand eine ganze Weile vor diesem globigen weißen Kasten, haderte mit mir und meiner Entscheidung. Ging das nicht eindeutig zu weit? Die kleine Schwarze, wenigsten die Eine könnte ich doch wieder mit nach Hause nehmen. Die Idee, nur noch eine Handtasche in einer der wichtigsten Farben meiner Garderobe (schwarz, blau, weiß, rot und braun) zu besitzen war doch im Grunde genommen lächerlich, war doch ein viel zu radikaler erster Schritt. Wenn es nicht so wäre, würde ich jetzt nicht hier so rumstehen. Ich rief mich zur Ordnung, atmete tief durch, hiefte den Sack auf die Klappe und rums, war er reingefallen. Und da kam sie schon: die Panik!
Was hatte ich nur getan? Hatte ich völlig den Verstand verloren? Wie käme ich wieder an meine Schätze heran? Aufbrechen? Den Notruf wählen? Polizei, Feuerwehr - wer wäre wohl in diesem Fall zuständig? Als ich mir der Lächerlichkeit meiner Gedanken bewusst wurde nahm ich es hin - nicht tapfer, nein schicksalsergeben. Gerne würde ich Euch sagen, dass es ein Moment des Triumphes war. Aber das wäre gelogen. Fakt ist, ich kämpfte mit den Tränen. Ich kämpfte mit ihnen bis ich beim familiären Kaffee trinken eintraf und mit unsicherer Stimme berichtete, was ich getan hatte. Meine Belohnung: meine Tapferkeit, meine Opferbereitschaft wurden gelobt - niemand sagte mir offen ins Gesicht, dass er mich für absolut verrückt hielt. Dafür bin ich ihnen immer noch dankbar.
Dies war jedoch nur der Anfang. Nach einigen Tagen, in denen ich mich wie betäubt fühlte entdeckte ich neue Energie. Es musste weitergehen. Das konnte nicht das Ende sein. Das Schlimmste, was ich mir antun konnte, hatte ich bereits hinter mir, also: das nächste Zimmer!
So ging ich Stück für Stück meine ganze Wohnung durch und trenne mich von allem, was ich problemlos entbehren konnte. Aus der Handtaschenaktion hatte ich eindeutig gelernt. ;-) Man sollte sich nicht selbst überfordern.
Auf die erste Runde folgte eine Zweite. Ich entdeckte "Dreckecken" in meiner Wohnung, wie ich es zu nennen pflege. Was auch schon einmal eine Schublade sein kann, in die alles reingepackt wird, was irgendwie nirgendwo dazu passt. Das Schlimme ist nur...wusstet Ihr schon, dass Wissenschaftler bewiesen haben, dass dieses Zeug tatsächlich organisch wächst? Pack ein Teil hin und auf ganz natürliche Weise folgt ein Zweites, ein Drittes und schwupps ist es ein kleiner Berg - Schubladen schließen nicht mehr richtig, Schranktüren bleiben nur mit viel gutem Willen zu. Noch schlimmer, das Zeug steht offen herum und man muss sich schämen, wenn man Besuch bekommt, blubbert irgendetwas von "Ich miste gerade aus und trage hier das Zeug zusammen."
Bitte versteht mich nicht falsch. Ich sitze seit dieser Phase nicht in einer halbleeren Wohnung und bin unter die Asketen gegangen. Dafür bin ich wirklich nicht der Typ. Aber ich habe seit dem viel mehr Energie. Durch den Freiraum, den ich mir verschaffte ging ich leichter durchs Leben und hatte Platz für Neues. Neues, das nicht physischer Natur war. Ein neuer Job, den ich viel mehr mochte, als meinen Alten. Eine Begeisterung dafür Neues auszuprobieren oder alte Hobbies wieder zu entdecken. Und hatte ich vorher noch im festen Glauben gelebt, ich bräuchte unbedingt eine andere Wohnung, weil mir irgendwie ein Zimmer fehlt...auf einmal waren die vertrauten vier Wände riesengroß und der Bedarf eines weiteren Zimmers ein absolut verrückter Gedanke.
Auch legte ich mir neue Gewohnheiten zu:
Einen permanenten 60-Liter-Sack in einer versteckten Ecke meines Schlafzimmers, der mit allem sofort gefüllt wird bei dem ich feststelle: "Ich fühle mich nicht mehr wohl mit diesem Teil!" oder "Was hast du dir dabei gedacht, als du im Laden in den Spiegel geschaut hast?".
Frühjahrsputz. Eine Inspektionstour durch mein gesamtes Hab und Gut zum Frühlingsbeginn mit der Frage: Hast du das im letzten Jahr auch nur einmal benutzt? Oder das Kleidungsstück, die Schuhe, auch nur einmal getragen? Nein? Weg damit. Und trotz des permanenten 60-Liter-Sacks, finde ich da immer wieder Teile.
Eine bewusstere Auswahl neuer Teile in allen Bereichen. Brauchst du das wirklich oder geht es nicht auch anders?
Natürlich, das will ich nicht verhehlen, es gab auch Rückschläge. Ich bin nicht Wonder Woman und weit davon entfernt perfekt zu sein. Ich fand selbstverständlich ein Ventil, um wir schöne Dinge zu leisten: die Notwendigkeit für meinen Beruf. Hier noch ein Anzug, da ein Etuikleid, weil ich so eines noch gar nicht habe und es mir damit gelingt eine essentielle Lücke in meiner Garderobe zu schließen. ;-)
Jeder, der diesen Prozess selbst schon hinter sich gebracht hat weiß, das kommt fast zwangsläufig.
Jetzt rede ich schon eine ganze Weile und so mancher denkt vielleicht:
Sie scheint es doch gut im Griff zu haben. Was soll also der Titel?
Tja, es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass wir lediglich Dinge besitzen, die wir tagtäglich in unserer Wohnung sehen und irgendwann gar nicht mehr bewusst wahrnehmen. Es gibt eine Lagerstätte meiner Besitztümer, die ich irgendwie gar nicht auf dem Radar hatte und die mich schmerzlich einholte, als meine Mutter frage: "Du, wir haben Sperrmüll angemeldet, hast du auch was?" Und da kam die Erkenntnis. Sie kroch langsam, aber unaufhaltsam meinen Rücken hoch und legte sich mit Eiseshand um meine Kehle: "Mein Keller! Ich habe meinen Kellerraum vergessen!"
Auf dem Nachhauseweg rief ich mir in Erinnerung, wann ich den Raum das letzte Mal betreten hatte und in welchem Zustand er war. Alleine die wagen Bilder gruselten mich bereits. Doch ignorieren bringt ja nichts. Zuhause angekommen schnappte ich mir also den Schlüssel und ging erhobenen Hauptes auf die Stätte des Grauens zu. Der Schlüssel klickt vernehmlich, die Tür geht immerhin auf und das Betätigen des Lichtschalters offenbart: Ja, es ist so schlimm, wie ich vermutet hatte!
Es zog mich so runter, dass ich nach einem ersten raumübergreifenden Blick unversehens das Licht wieder ausschaltete und einen taktischen Rückzug antrat. Ein Plan musste her!
Wer nun eine Übersetzung braucht. Es ist eine Ausweichshandlung. Man braucht keinen Plan, um so etwas anzugehen. Man muss einfach anfangen, der Rest ergibt sich von ganz alleine.
Für jeden, der es noch nicht hinter sich gebracht hat. Es gibt jede Menge Experten mit jeder Menge Systeme. Es gibt unzählige Bücher und doch, eine Internetrecherche genügt, um das entscheidende Handwerkszeug zu haben. Spart Euch das Geld und gebt es für etwas Sinnvolleres aus.
Ich wusste, dass ich mich einfach nur drückte und doch brauchte ich 24 Stunden, um es mir einzugestehen.
Und dann? Arbeitsklamotten an - hilft mir mental mich vorzubereiten. ;-), die Rolle mit den 60-Liter-Säcken schnappen und ab ging es ins Gefecht.
Ergebnis der ersten Woche: Ich bin noch lange nicht fertig, aber hey, ich kann auf rund 1,5 qm schon wieder den Boden sehen. ;-)
Falls ich Euch nun angefixt haben sollte. Nicht lange nachdenken. Schnappt Euch die Rolle mit den Müllbeuteln und schaut was passiert.
In diesem Sinne einen schönen Sonntag und einen tollen Start in die neue Woche.
Eure Sofie
Kommentar schreiben
Sissi (Donnerstag, 02 Juli 2020 12:32)
Liebe Sofie,
danke für Deine motivierenden Worte!
Ich benutze ebenso den "Trick" mit der dauerhaften (bei mir:) Papiertüte (und nicht im Schlafzimmer, sondern im Abstellraum), achte zudem darauf die weggegebenen Dinge wieder in den "Kreislauf" zu bringen. So bekommt meine Klamotten immer zuerst die Tochter einer Kollegin im Geschäft, die sich die für sie passenden Dinge raussucht udn dann macht die Tüte ihre Runde und was übrg bleibt bringt mein lieber Schatz zur Tafel.
Letztens hatte eine Freundin die Idee eines Kleider-/alte Sachen-Treffens. Auch gut.
LG
Sissi.